2012

Haftungsumfang bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung

Mit seinem Urteil vom 06.03.2012 entschied der Bundesgerichtshof, dass die Aufnahme von Geschäften mit geändertem Geschäftsgegenstand unter der Verwendung eines „leer“ gewordenen Geschäftsmantels als wirtschaftliche Neugründung einer GmbH zu behandeln ist. Diese ist gegenüber dem Registergericht offenzulegen. Zudem haften die Gesellschafter für die Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des in der Satzung ausgewiesenen Stammkapitals persönlich (Unterbilanzhaftung). Klar war bislang nicht, wie die Haftung ausgestaltet sein soll, wenn die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung unterbleibt. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass die Haftung im Umfange der zum Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung bestehenden Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und ihrem satzungsmäßigen Stammkapital gilt. Im zugrunde liegenden Fall hatte eine im Jahre 1993 gegründete GmbH gegen Ende 2003 keinerlei Aktiva und tätigte auch keine Umsätze mehr. Mitte 2004 beschloss die Gesellschafterversammlung eine Änderung der Firma sowie des Unternehmensgegenstandes, verlegte den Firmensitz und bestellte eine neue Geschäftsführerin. Diese meldete zwar die Änderungen beim Handelsregister an, legte jedoch die wirtschaftliche Neugründung nicht offen. Ende 2005 erwarb sie den einzigen Geschäftsanteil der GmbH mit einem Nennbetrag von 50 TDM zum Preis von 7,5 T€. Anfang 2007 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter stellte Forderungen von rund 37 T€ zur Insolvenztabelle fest und beanspruchte diese von der Erwerberin des Geschäftsanteils. Das Oberlandesgericht München gab dem klagenden Insolvenzverwalter in vollem Umfange Recht. Da der Bundesgerichtshof allerdings nicht der Auffassung folgte, dass die Gesellschafter einer zeitlich unbegrenzten Verlustdeckungshaftung unterliegen, wurde der Fall an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen. Dieses muss nun unter dieser Maßgabe aufklären, ob im konkreten Fall dem Insolvenzverwalter die Forderung gegen die beklagte Gesellschafterin zusteht.

Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz

 

Fahrtkosten im Rahmen einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme und eines Vollzeitstudiums

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung entschied der Bundesfinanzhof mit zwei Urteilen vom 09.02.2012, dass eine Bildungseinrichtung nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen ist, auch wenn diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum Zwecke eines Vollzeitunterrichts bzw. -studiums aufgesucht wird. Demzufolge sind Fahrten zwischen der Wohnung und einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung wie Dienstreisen in voller Höhe als Werbungskosten steuerlich zu berücksichtigen. Bislang konnte nur die Entfernungspauschale geltend gemacht werden. Eine berufliche Aus- oder Fortbildung, die die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt und sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, wird damit als eine vorübergehende und nicht auf Dauer angelegte Bildungsmaßnahme bewertet. Im ersten Fall (VI R 44/10) wurden die Fahrtkosten einer Studentin zur Hochschule im Rahmen eines Zweitstudiums als vorweggenommene Werbungskosten zum Abzug zugelassen. Im zweiten Fall (VI R 42/11) wurden die Aufwendungen eines Zeitsoldaten für Fahrten zur Ausbildungsstätte, die im Rahmen einer vollzeitigen Berufsförderungsmaßnahme angefallen waren, ebenfalls in tatsächlicher Höhe  gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG  berücksichtigt. Voraussetzung ist natürlich, dass der Steuerpflichtige den Fahrtaufwand auch tatsächlich getragen hat. Bei Anwendung der Entfernungspauschale ist das ohne Belang.

Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz

 

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Vorweggenommene Werbungskosten durch Berufsausbildung bei späterer im Ausland ausgeübter Tätigkeit

Anforderungen an zum Vorsteuerabzug berechtigende Abrechnungspapiere

Der Bundesfinanzhof definierte mit Beschluss vom 10.01.2012 Anforderungen an eine Leistungsbeschreibung in einem zum Vorsteuerabzug berechtigenden Abrechnungspapier und stellte sogleich eine einheitliche Rechtsprechung sicher. Im zugrunde liegenden Streitfall ging es darum, ob eine GmbH in den Streitjahren 1997 bis 1999 zum Vorsteuerabzug aus Gutschriften an Handelsvertreter, die für sie arbeiteten, berechtigt war. Im Text der Gutschriften hieß es lediglich, "zur Deckung Ihrer erhaltenen Vorauszahlungen erhalten Sie eine Gutschrift in Höhe von ..." Die Umsatzsteuer wurde gesondert ausgewiesen. Nach einer Außenprüfung versagte das Finanzamt den Vorsteuerabzug aus diesen Gutschriften und erließ für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide. Auch das FG wies eine Klage als unbegründet ab, da die Gutschriften nicht die Anforderungen an eine Rechnung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 UStG a. F. erfüllten und somit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten. Zudem sei ein Bezug zwischen erteilter Gutschrift und konkreter Leistung nicht erkennbar. Der Bundesfinanzhof bestätigte die Ansichten der Vorinstanzen und betonte, dass der Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung eine Rechnung voraussetzt, die eine eindeutige und leicht nachprüfbare Identifizierung der abgerechneten Leistung ermöglicht, was im vorliegenden Fall aufgrund der allgemeinen Angabe von Vorauszahlungen nicht gegeben sei.

Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz

 

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Elektronisch übermittelte Rechnungen ab 01.07.2011

Versteuerung der Gage einer Stripgruppe

Mit Urteil vom 19.10.2011 entschied der Bundesfinanzhof, dass Gagen für eine Stripgruppe von der Umsatzsteuer befreit sein oder dem ermäßigten Steuersatz unterliegen können. Im zugrunde liegenden Fall ging es darum, ob in den Streitjahren 1995 bis 1998 Auftritte einer männlichen Stripgruppe von der Umsatzsteuer befreit sind oder zumindest mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert werden dürfen. Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ das Finanzamt gegen eine Konzert- und Eventmanagerin einen Haftungsbescheid, da sie in den Streitjahren die Abzugsteuern gemäß § 50a EStG für die Auftritte der engagierten Künstler nicht ordnungsgemäß einbehalten, angemeldet und abgeführt hatte. Das Finanzamt ging bei der Berechnung davon aus, dass die Leistungen der Künstlergruppe umsatzsteuerpflichtig seien und dass nicht der ermäßigte Umsatzsteuersatz, sondern der Regelsteuersatz anzuwenden sei. Nach seiner Auffassung handele es sich bei den Veranstaltungen der Gruppe weder um ein "Theater" im Sinne von § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG noch um eine "Theatervorführung" im Sinne von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG. Zudem richteten sich die Auftritte der Gruppe vor allem an weibliche Gäste, so dass dies dem Sinn und Zweck von Steuervergünstigungen widerspreche, Kultur und Bildung einem breiten Publikum ohne Unterscheidung nach Geschlecht und Alter zu ermöglichen. Einspruch und Klage der Konzert- und Eventmanagerin blieben ohne Erfolg. Der Bundesfinanzhof gab jedoch der Revision der Klägerin statt. Das betreffende Ensemble habe denselben kulturellen Stellenwert wie die ausdrücklich in der gesetzlichen Bestimmung genannten Einrichtungen. Seine Vorführungen seien eine Mischung aus Theater und Konzert. Vergleichbar mit einem modernen Musical gäben Tanz und Musik den Vorführungen das Gepräge. Die Gruppe bestehe aus überwiegend professionellen Broadway-Tänzern, Schauspielern und/oder Sängern. Sie führten eine komplexe Show auf, die von einem professionellen Regisseur und Choreograph gestaltet worden sei. Dies bedeutet, dass die im Streitfall unstreitig vorliegende "erotisierende Wirkung" der Auftritte bei einer Gleichartigkeitsprüfung zu anderen kulturellen "Einrichtungen" keiner den kulturellen Stellenwert der Gruppe einschränkenden Wertung zugänglich ist. Das FG muss sich erneut mit dem Fall befassen.

Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz

 

Willkür- und Schikaneverbot bei Erlass einer Prüfungsanordnung

Die Anordnung einer Außenprüfung wegen Verstoßes gegen das Willkür- und Schikaneverbot kann rechtswidrig sein. So entschied der Bundesfinanzhof mit seinem Urteil vom 28.09.2011. Weist der konkrete Einzelfall besondere Umstände auf, die darauf hindeuten, dass sich das Finanzamt bei Erlass einer Prüfungsanordnung möglicherweise von Erwägungen leiten ließ, bei denen nicht der eigentliche Zweck - die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse - im Vordergrund stehen, kann in dem Übergehen eines hierzu gestellten Beweisantrags der Verfahrensmangel ungenügender Sachaufklärung liegen. Ein Verstoß gegen das Willkür- und Schikaneverbot ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die angeordnete Außenprüfung im Sinne von § 193 Abs. 1 AO ein in irgendeiner Weise umsetzbares Ergebnis haben könnte. Ein die Außenprüfung vorbereitendes Vorlage- und Auskunftsverlangen kann ein Verwaltungsakt und damit Gegenstand einer zulässigen Anfechtungsklage sein. Im Streitfall hatte ein selbständig tätiger Rechtsanwalt detailliert und nachvollziehbar dargelegt, dass seine steuerlichen Verhältnisse seit Jahren unverändert und bekannt seien. Er reklamierte eine vom Finanzamt bei ihm angeordnete Prüfung mit der Begründung, dass er einen Beamten der Finanzverwaltung wegen behördeninternen Mobbings vertrete. Die Gründe für die Anordnung einer Außenprüfung seien nach seiner Auffassung nur vorgeschoben. Zudem verwies er darauf, dass sich zwei weitere Mandanten von ihm bereits mit entsprechenden Vorwürfen an den Petitionsausschuss gewandt und Erfolg gehabt hatten. Zeitgleich hatte die Finanzverwaltung u. a. Außenprüfungen bei den beiden mit den Petitionen befassten Abgeordneten und dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses veranlasst, was statistisch wohl kein Zufall sein könne. Einspruch und Klage des Rechtsanwalts hatten keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof widersprach nun den Vorinstanzen. Eine Außenprüfung dürfe zwar grundsätzlich voraussetzungslos angeordnet werden, müsse aber dem Zweck dienen, die steuerlichen Verhältnisse des Geprüften aufzuklären. Andere, sachfremde Erwägungen verstoßen gegen das Willkür- und Schikaneverbot mit der Folge, dass die Anordnung rechtswidrig ist. Das Finanzgericht muss nun den Sachverhalt weiter aufklären.

Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz