Wegfall der Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung bei beiderseitigem Motivirrtum
von Björn Keller
Der Bundesfinanzhof entschied mit seinem Urteil vom 11.04.2017, dass die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung im Steuerfestsetzungsverfahren ausnahmsweise entfallen kann. Das trifft dann zu, wenn ihr eine irrtümlich von beiden Parteien angenommene Geschäftsgrundlage von vornherein gefehlt hat oder wenn sie nachträglich weggefallen ist und einem der Beteiligten ein Festhalten an dem Vereinbarten nicht zuzumuten ist. Im Streitfall machten die Kläger, ein Ehepaar, aus der insolvenzbedingten Auflösung einer GmbH für das Streitjahr 2007 einen Verlust von insgesamt 1.001.177,02 EUR geltend. Das Finanzamt anerkannte jedoch ausschließlich den Verlust des eingezahlten Stammkapitals unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens schlossen die Kläger auf Vorschlag des FG mit dem Finanzamt eine sogenannte tatsächliche Verständigung. Danach sollte von einem bereits im Jahr 2005 entstandenen Verlust ausgegangen werden. Die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 betrachteten alle Beteiligten als erledigt. Bei der Umsetzung der Vereinbarung stellte das Finanzamt allerdings fest, dass die Einkommensteuerfestsetzung 2005 wegen einer von dem vormaligen Berater der Kläger erklärten Einspruchsrücknahme nicht mehr änderbar war. Die Kläger machten daher geltend, die tatsächliche Verständigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufzuheben und den Auflösungsverlust im anhängigen Streitjahr 2007 anzusetzen. Das FG bestand auf der Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung und wies die Klage ab. Der Bundesfinanzhof allerdings teilte diese Auffassung nicht. Im Streitfall seien die Beteiligten übereinstimmend von der verfahrensrechtlichen Änderbarkeit des Einkommensteuerbescheids 2005 ausgegangen. Da aber diese angenommene gemeinsame Geschäftsgrundlage von Anfang an gefehlt habe, komme der tatsächlichen Verständigung keine Bindungswirkung zu. Dabei sei auch unwichtig, ob der Motivirrtum durch ein Verschulden der Kläger vorliege. Das FG muss nun im zweiten Rechtsgang ohne Bindung an die Verständigung prüfen, ob der Auflösungsverlust, wie von den Klägern beantragt, im Streitjahr 2007 zu berücksichtigen ist.
Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz